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Abrechnungsbetrug bei Corona-Testzentren

20. Juni 2025

Abrechnungsbetrug Corona Testzentren ist zum Massedelikt geworden: Über 1.200 Ermittlungsverfahren bundesweit, Millionenschäden und erste BGH-Urteile prägen die aktuelle Rechtslage. Als Fachanwalt für Strafrecht verteidige ich Teststellenbetreiber deutschlandweit – mit besonderem Fokus auf die komplexen Abgrenzungsfragen zwischen Organisationsmängeln und strafbarem Betrug.

Die Zahlen sind erschreckend: Nach Schätzungen des Bundeskriminalamts haben Betrüger 1,2 Milliarden Euro mit falsch abgerechneten Corona-Tests kassiert. Allein in Berlin ermittelt die Staatsanwaltschaft in über 300 Fällen mit einem geschätzten Schaden von 35 Millionen Euro. Die Ermittlungswelle rollt – und sie wird noch Jahre andauern.

Der Tatbestand: Wann wird aus einer Abrechnung ein Betrug?

Abrechnungsbetrug ist kein eigener Straftatbestand, sondern fällt unter § 263 StGB. Die Strafbarkeit beginnt, wenn der Betreiber durch Täuschung über Tatsachen einen Irrtum bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) erregt und dadurch einen Vermögensschaden verursacht.

Die häufigsten Tatbegehungsweisen

„Lufttests“ – das klassische Delikt Der Bundesgerichtshof hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 04.12.2024 (5 StR 498/23) klargestellt: Die Abrechnung nicht durchgeführter Tests verwirklicht eindeutig den Betrugstatbestand. Das LG Köln verurteilte Can Hazer Mitte 2024 zu fünfeinhalb Jahren Haft – er hatte systematisch Tests abgerechnet, die nie stattgefunden hatten. Der Schaden: 5,3 Millionen Euro.

Identitätstäuschung – die unterschätzte Falle Besonders brisant: Der BGH stellte klar, dass auch der Betrieb von Teststellen unter falschen Personalien einen Betrug darstellt. Im Fall des LG Berlin (Urteil vom 27.03.2023) betrieb der Angeklagte 16 von 18 Teststellen unter Fremd- und Falschpersonalien. Die Begründung des BGH: Testleistungen seien nur erstattungsfähig, wenn der Abrechnende mit der beauftragten Person identisch ist. Die „Zuverlässigkeit“ sei ein wesentliches Kriterium des Verordnungsgebers (Corona-Testverordnung) gewesen.

Durchführungs- und Dokumentationsmängel Hier wird es komplex: Nicht jeder Mangel führt zur Strafbarkeit. Der BGH mahnte jedoch zur Vorsicht: Ungeschultes Personal, nicht eingehaltene Wartezeiten oder fehlende Dokumentation können den Erstattungsanspruch zunichtemachen. Entscheidend ist, ob der Betreiber hierüber täuscht.

Aktuelle Rechtsprechung: Die Gerichte ziehen die Zügel an

BGH, Beschluss vom 04.12.2024 – 5 StR 498/23 Der BGH hob das Urteil des LG Berlin auf, das Kemal C. zu acht Jahren und neun Monaten Haft verurteilt hatte. Die Begründung: Das LG habe nicht ausreichend geprüft, ob der Angeklagte auch über Dokumentationspflichten und Qualitätsstandards getäuscht habe. Diese Entscheidung zeigt: Die Anforderungen an die tatrichterliche Würdigung steigen.

LG Kassel, Urteil vom 27.11.2023 Ein 48-jähriger Teststellenbetreiber aus Bad Wildungen erhielt drei Jahre und zehn Monate Haft. Der Schaden: über 1,15 Millionen Euro. Das Gericht ordnete die vollständige Einziehung der Taterträge an.

AG München, Urteil vom 01.02.2023 Zwei Angeklagte rechneten im Zeitraum Januar bis März 2022 rund 28.500 Tests mehr ab als durchgeführt. Schaden: über 330.000 Euro. Die Staatsanwaltschaft forderte Freiheitsstrafen von dreieinhalb Jahren, das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die Ermittlungspraxis: KI-gestützte Jagd auf Betrüger

Die Zeiten der unkontrollierten Auszahlungen sind vorbei. Die Ermittlungsbehörden haben aufgerüstet:

Spezialisierte Einheiten Die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen (ZKG) bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg führt allein 200 Verfahren. In Berlin ermittelt das LKA in einer eigenen Abteilung für Abrechnungsbetrug.

Datenanalyse und KI Moderne Analysesoftware erkennt Auffälligkeiten: Ungewöhnliche Testzeiten, identische IP-Adressen bei verschiedenen Teststellen, mathematisch unmögliche Testzahlen. Der behördenübergreifende Datenabgleich zwischen Finanzamt, Handelsregister und KV läuft auf Hochtouren.

Verlängerte Aufbewahrungsfristen Ursprünglich sollten die Unterlagen nur bis Ende 2024 aufbewahrt werden. Die Frist wurde nun bis 31.12.2028 verlängert – die Ermittlungsbehörden haben Zeit gewonnen.

Verteidigungsstrategien beim Abrechnungsbetrug Corona Testzentren: Der Teufel steckt im Detail

1. Vorsatz – die entscheidende Hürde

Betrug ist eine Vorsatztat. Die bloße Fahrlässigkeit reicht nicht aus. In der chaotischen Anfangsphase der Pandemie mit sich täglich ändernden Verordnungen und unklaren Vorgaben liegt hier oft der Schlüssel zur Verteidigung.

Beispiel aus der Praxis: Ein Apotheker rechnete PCR-Tests als Antigen-Schnelltests ab. Die Verteidigung konnte nachweisen, dass die KV selbst widersprüchliche Auskünfte zur korrekten Abrechnung gegeben hatte. Ergebnis: Einstellung gegen Geldauflage.

2. Organisationsmängel vs. Betrugsabsicht

Nicht jeder Fehler ist ein Betrug. Typische Verteidigungsansätze:

  • Überforderung durch explosionsartiges Wachstum
  • Technische Probleme der Abrechnungssoftware
  • Mitarbeiterversagen ohne Kenntnis der Geschäftsführung
  • Dokumentationsfehler bei tatsächlich durchgeführten Tests

3. Die Schadensberechnung – oft fehlerhaft

Der BGH stellte klar: Einzelne fehlerhaft abgerechnete Tests führen nicht zum Verlust des gesamten Erstattungsanspruchs. Viele Anklagen rechnen jedoch pauschal alle Abrechnungen als Schaden – hier liegt erhebliches Verteidigungspotenzial.

4. Verfahrenseinstellung – der pragmatische Weg

Bei Ersttätern und überschaubaren Schadenssummen lässt sich oft eine Einstellung nach § 153a StPO erreichen. Voraussetzungen:

  • Frühzeitiges Geständnis
  • Vollständige Schadenwiedergutmachung
  • Kooperation mit den Behörden
  • Keine Vorstrafen

Typische Fallkonstellationen beim Abrechnungsbetrug Corona Testzentren

Fall 1: Der überforderte Einzelkämpfer Ein Physiotherapeut eröffnete im Lockdown eine Teststelle, um seine Praxis zu retten. Bei 50-60 Tests täglich verlor er den Überblick. Die handschriftlichen Listen stimmten nicht mit den digitalen Abrechnungen überein. Vorwurf: 80.000 Euro Schaden. Nach Vorlage der Originalunterlagen und Zeugenaussagen von Mitarbeitern: Einstellung gegen 5.000 Euro Geldauflage.

Fall 2: Das Franchise-Fiasko Ein Unternehmer betrieb fünf Teststellen im Franchise-System. Der Franchisegeber übernahm die Abrechnung „vollautomatisch“. Erst die Durchsuchung offenbarte: Der Franchisegeber hatte systematisch 30% mehr Tests abgerechnet. Die Herausforderung: Abgrenzung der Verantwortlichkeiten.

Fall 3: Die Mitarbeiter-Manipulation Eine Teststellenbetreiberin stellte fest, dass ihre Mitarbeiter Freunde und Familie mehrfach täglich „testeten“ – ohne echte Testdurchführung. Sie erstattete Selbstanzeige. Problem: Keine strafbefreiende Wirkung beim Betrug, aber strafmildernd bei der Strafzumessung.

Praktische Hinweise für Betroffene

Bei Durchsuchung – die ersten Minuten entscheiden

  1. Ruhe bewahren – keine spontanen Erklärungen
  2. Durchsuchungsbeschluss zeigen lassen – Umfang prüfen
  3. Anwalt kontaktieren – Anwesenheit abwarten
  4. Protokoll genau prüfen – keine vorschnellen Unterschriften
  5. Beschlagnahmeliste verlangen – jeden Gegenstand dokumentieren

Bei Vorladung – Schweigen ist Gold

Die Versuchung ist groß, „das Missverständnis“ aufzuklären. Fatal! Erst nach Akteneinsicht und anwaltlicher Beratung sollte eine Strategie entwickelt werden. In 90% der Fälle verschlimmern spontane Einlassungen die Situation.

Dokumentensicherung – jetzt handeln!

Sichern Sie ALLE Unterlagen:

  • Testlisten (digital und handschriftlich)
  • E-Mail-Verkehr mit der KV
  • Mitarbeiterverträge und Schulungsunterlagen
  • Kassenbücher und Abrechnungsbelege
  • Fotos der Teststelle und Ausstattung

Die Zukunft: Weitere Ermittlungswellen absehbar

Die Aufarbeitung steht erst am Anfang. Neue Schwerpunkte zeichnen sich ab:

Berater im Visier Steuerberater und „Abrechnungsoptimierer“, die gegen Erfolgshonorare Teststellen berieten, geraten zunehmend ins Visier. Der Vorwurf: Beihilfe oder sogar Mittäterschaft.

Geldwäsche-Verfahren Wohin flossen die Millionen? Die Geldwäscheabteilungen prüfen auffällige Immobilienkäufe, Luxusgüter und Auslandsüberweisungen.

Zivilrechtliche Rückforderungen Parallel zu den Strafverfahren laufen Rückforderungsverfahren der KVen. Diese sind oft existenzbedrohend, da sie auch bei Verfahrenseinstellungen bestehen bleiben.

Fazit: Professionelle Verteidigung ist unverzichtbar

Der Abrechnungsbetrug bei Corona-Testzentren entwickelt sich zum Wirtschaftsstrafrecht-Schwerpunkt der nächsten Jahre. Die Rechtsprechung des BGH zeigt: Die Anforderungen an Betreiber waren hoch, die Grenzen zur Strafbarkeit oft unklar.

Wer heute eine Vorladung oder Durchsuchung erlebt, braucht spezialisierte Verteidigung. Die Materie ist komplex, die Schadenssummen oft existenzbedrohend. Aber: Mit der richtigen Strategie lassen sich auch aussichtslos erscheinende Fälle erfolgreich verteidigen.

Die beste Verteidigung beginnt mit der Erkenntnis: Nicht jeder Fehler ist ein Betrug – aber jede unbedachte Äußerung kann einer werden.


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Als Fachanwalt für Strafrecht mit Schwerpunkt Wirtschaftsstrafrecht verteidige ich bundesweit Unternehmer, Geschäftsführer und Selbstständige. Auf meiner Website finden Sie weitere relevante Informationen:

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Autor

zu sehen ist ein Portrait des Fachanwalts Felix Haug.
Rechtsanwalt Felix F. Haug
  • Fachanwalt für Strafrecht
  • Spezialisiert auf Wirtschaftsstrafrecht und Unternehmsverteidigung
  • Kanzlei am Kurfürstendamm in Berlin