
Das Strohmann-Kartell
15. August 2024
Funktion des "Strohgeschäftsführers"
Über 5.000 Strohmann-Geschäftsführer schätzt das BKA derzeit in Deutschland. Die rbb-Dokumentation „Das Strohmann-Kartell“ zeigt erschreckende Ausmaße eines Systems, das Obdachlose und Suchtkranke aus Osteuropa als Geschäftsführer deutscher Unternehmen missbraucht. Das Strohmann-Kartell nutzt diese „Strohleute“, um illegale Geschäfte zu verschleiern und Verfolgungsrisiken zu minimieren.
Das Strohmann-Kartell: Hintergründe und Motive
Warum tauchen in den letzten Jahren vermehrt obdachlose und suchtkranke Menschen als Geschäftsführer deutscher Unternehmen auf? Menschen, die mit den Firmen nichts zu tun haben und regelmäßig nicht einmal von deren Existenz wissen? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer genaueren Auseinandersetzung mit der Handhabung der strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen.
Strafrechtliche Verantwortung in Unternehmen
Handlungsunfähige Kapitalgesellschaften nehmen durch ihre Vertretungsorgane am Rechtsverkehr teil. Ein Unternehmen kann sich nicht selbst strafbar machen; sanktioniert wird ausschließlich das Vertretungsorgan, das heißt, die natürliche Person, die hinter dem Unternehmen steht. Das sind je nach Unternehmensform beispielsweise Gesellschafter oder Geschäftsführer. Dieses Prinzip folgt dem Grundsatz „societas delinquere non potest“ – eine Gesellschaft kann kein Unrecht begehen. Sobald ein Straftatbestand ein Unternehmen adressiert, wird die relevante Eigenschaft (beispielsweise die des Arbeitgebers) vom Unternehmen auf den Geschäftsführer oder die jeweils vertretungsberechtigte Person „überwälzt“. Diese Straftaten sind sogenannte Sonderdelikte, da sie nur von einem bestimmten Personenkreis begangen werden können.
Die Rolle der Strohleute im Strohmann-Kartell
Die Figur, verankert in § 14 StGB, soll verhindern, dass sich Personen hinter Unternehmen verstecken und im Ergebnis niemand zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie verhält es sich jedoch, wenn tatsächlich eine andere Person als das vertretungsberechtigte Organ das Unternehmen lenkt?
Hier kommen die sogenannten Strohleute ins Spiel. In dem Wissen, dass sie als Geschäftsführer zur strafrechtlichen Verantwortung für Insolvenzverschleppungen, Steuerhinterziehungen und dergleichen gezogen werden können, setzen Täter immer häufiger Personen ein, die mit dem Unternehmen nichts zu tun haben. Diese sind dann auf dem Papier das vertretungsberechtigte Organ und daher strafrechtlich verantwortlich, während die eigentlichen Täter (vermeintlich) nichts zu befürchten haben.
Typische Straftatbestände im Strohmann-Kontext
Straftaten des Strohmann-Kartells nach StGB und AO
Die Strohmann-Konstrukte dienen regelmäßig der Begehung folgender Straftaten:
- § 266a StGB – Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen: Die Strohleute haften für nicht abgeführte Beiträge
- § 15a InsO – Insolvenzverschleppung: Bei verspätetem Insolvenzantrag drohen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe
- § 370 AO – Steuerhinterziehung: Strohgeschäftsführer werden für Steuerschulden des Unternehmens verantwortlich gemacht
- § 263 StGB – Betrug: Besonders bei Subventionsbetrug oder betrügerischen Geschäftsmodellen
Bei grenzüberschreitenden Strohmann-Konstrukten mit EU-Bezug droht zusätzlich ein EPPO-Verfahren, da häufig EU-Fördermittel betroffen sind.
Faktische Geschäftsführer und ihre strafrechtliche Relevanz
Der Schein trügt: Zumindest aus strafrechtlicher Perspektive können die Täter weiterhin als „faktische Geschäftsführer“ verantwortlich sein. Diese Rechtsfigur ist nicht unumstritten und wird insbesondere aufgrund der damit einhergehenden Problematik des strafbelastenden Analogieverbots kritisiert. Mehr dazu in unserem Artikel „Der Faktische Geschäftsführer“.
Ein Hoffnungsschimmer für Betroffene: Das LG Nürnberg-Fürth stellte in seinem Beschluss vom 25.04.2024 (18 KLs 502 Js 2487/21) klar, dass nicht die formale Eintragung, sondern die tatsächliche Handlungsmacht entscheidend ist. Diese Rechtsprechung könnte einen Paradigmenwechsel einleiten – ausführlich behandelt in „Strohmann-Geschäftsführer: Wann haftet man wirklich?“.
Praktische Herausforderungen für die Strafverfolgung beim Strohmann-Kartell
Das ist allerdings nur die rechtliche Betrachtungsweise. Tatsächlich stellt der Einsatz von Strohleuten im Strohmann-Kartell die Ermittlungsbehörden vor erhebliche Verfolgungsprobleme. Komplizierte Unternehmenskonstruktionen und der Einsatz von schwer auffindbaren „Geschäftsführern“ erschweren die Ermittlung der eigentlichen, faktischen Geschäftsführer maßgeblich.
Ausnutzung von Unwissenheit und Unsicherheit
Wie das Strohmann-Kartell vulnerable Personen ausnutzt
Dabei wird sowohl die Unwissenheit osteuropäischer Obdachloser als auch die Unsicherheit von Personen ausgenutzt, deren Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Letztere wollen die Geschäfte ihrer Firmen zügig beenden und Verantwortung abgeben. Eine „Marktlücke“, die sich immer mehr Firmen zunutze machen. Anbieter werben auf Internetseiten damit, gegen Geldzahlung das in Bredouille geratene Unternehmen abzuwickeln und den Geschäftsführer innerhalb nur weniger Stunden aus der Verantwortung zu entlassen. Tatsächlich werden die Firmengeschäfte aber nicht abgewickelt, sondern an die osteuropäischen Strohleute übertragen. In der Folge werden diese Unternehmen für illegale Zwecke genutzt, etwa für illegale Autoverkäufe, Steuerhinterziehungen und Sozialbetrug. Werden diese Aktivitäten dann rückverfolgt, tauchen die Namen der Strohleute und die der ehemaligen Geschäftsführer auf, jedoch nicht jene der eigentlich Verantwortlichen.
Erste Schritte bei Ermittlungen:
- Keine Aussage ohne Anwalt
- Handelsregisterauszug sichern
- Dokumentation der tatsächlichen Tätigkeiten
- Zeugen für fehlende Geschäftsführung benennen
- Bei Vorladung wegen Untreue sofort reagieren
Schutz vor ungewollter Strohmann-Stellung
Geschäftsführer in finanziellen Schwierigkeiten sollten:
- Niemals übereilt Geschäftsanteile übertragen
- Seriöse Insolvenzberatung in Anspruch nehmen
- Bei Firmenübernahme-Angeboten skeptisch sein
- Löschung aus dem Handelsregister dokumentiert sicherstellen
- Keine Blanko-Unterschriften leisten
- Verträge nur mit anwaltlicher Beratung unterzeichnen
Die Strohmann-Kartell-Problematik zeigt eindrücklich, wie organisierte Kriminalität Schwächen im System ausnutzt. Während die Hintermänner des Strohmann-Kartells im Schatten agieren, tragen Menschen die strafrechtlichen Konsequenzen, die oft nicht einmal wissen, wofür sie haften. Eine effektive Strafverfolgung muss daher über die formale Registerlage hinausblicken und die tatsächlichen Machtverhältnisse ermitteln.