Zusehen ist ein Stempel, darauf steht das Wort ,,Fälschung
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Die Frage nach der Strafbarkeit der Impfpassfälschung vor dem 24. November 2021

1. Juli 2024

BGH, Urteil vom 10.11.2022 – 5 StR 283/22

Rund ein Jahr nach der entscheidenden Gesetzesänderung positioniert sich der Bundesgerichtshof (BGH) endlich zu der von verschiedenen Oberlandesgerichten uneinheitlich beantworteten Frage nach der Strafbarkeit der Vorlage eines falschen Impfpasses gegenüber Apothekern – aber mit einem unbefriedigenden Ergebnis.

Ausgangspunkt

Im gegenständlichen Zeitraum, das heißt vor dem 24. November 2021, kam es vermehrt zu Fällen, in denen Personen in Apotheken gefälschte Impfpässe vorlegten, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten. Der 5. Strafsenat des BGH musste sich mit einem Angeklagten auseinandersetzen, der, so die Feststellungen des Tatgerichts, 19 unrichtige Impfbescheinigungen ausstellte und gegen Entgelt angeblich erfolgte Erst- und Zweitimpfungen eintrug, um den Abnehmern den Zugang zum Beispiel zur Gastronomie zu ermöglichen.

Das Landgericht (LG) Hamburg sprach den Angeklagten mangels anwendbarer Strafnorm frei, wogegen die Staatsanwaltschaft in der Folge Revision einlegte. Es zeichnet sich eine dogmatische Problematik ab, die sich – wie so oft und zur Freude der breiten Öffentlichkeit – an den Grenzen von moralischem Strafanspruch und juristischer Systematik bewegt.

Diskussion um die Urkundendelikte

Die Diskussion entzündet sich an den Vorschriften über die Urkundendelikte aus dem 23. Abschnitt des StGB. Vor dem 24. November hieß es dort, dass sich nach § 277 StGB (a. F.) strafbar macht, wer Falsifikate einer Behörde oder einer Versicherung vorlegt. Unstrittig sind Apotheken (und auch Gastronomien) keine Behörden, sodass § 277 StGB a. F. für die hiesigen Fälle ins Leere lief.

Unproblematisch lässt sich die Fälschung und Verwendung von Impfpässen allerdings unter den allgemeinen Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB subsumieren. Aber: §§ 277 ff. StGB a. F. stellen besondere Vorschriften für Gesundheitszeugnisse dar, die einen geringeren Strafrahmen aufweisen als die Urkundenfälschung nach § 267 StGB. Im Zentrum der Diskussion steht also die Frage, ob § 267 StGB anwendbar ist, oder ob nicht die §§ 277 ff. StGB a. F. als Privilegierung die Anwendung sperren.

Position und Begründung des BGH

Zu dieser Frage hat sich der BGH nun am 10. November 2022 positioniert. Die Richter des 5. Strafsenats sind der Auffassung, dass es sich bei § 277 StGB a. F. nicht um eine spezielle und daher privilegierende Vorschrift handele. Damit schließt der BGH eine Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB a. F. gegenüber § 267 StGB aus und verweist die Sache an eine andere Kammer zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Begründend führt der Senat sowohl den Zweck, den systematischen Zusammenhang der konkurrierenden Bestimmungen und den Willen des Gesetzgebers an, allerdings ohne weitere Erläuterungen. Diese wird mutmaßlich erst mit der gedruckten Entscheidung folgen, die es abzuwarten bleibt.

Kritik an der Entscheidung

Bis dahin ist dem BGH aber entgegenzuhalten, dass er mit seiner (bisherigen) Urteilsbegründung wichtige Aspekte der Debatte verkennt. Die Richter führen den Willen des Gesetzgebers an, lassen dabei aber außen vor, dass sich dieser Wille, anders als vom BGH angenommen, in der Gesetzesänderung des 24. Novembers 2021 niedergeschlagen hat. Mit dieser Änderung erklärte der Gesetzgeber implizit, die gefälschten Impfausweise gerade nicht durch § 267 StGB sanktionieren zu wollen, weshalb er eine Änderung der §§ 277 ff. StGB für notwendig hielt.

Der fünfte Strafsenat übersieht zudem, dass in Folge seiner Entscheidung das alleinige Fälschen von Impfpässen nach § 267 StGB höher bestraft werden würde als das Fälschen und das anschließende Täuschen. Ebenso wäre das Täuschen gegenüber Privaten (§ 267 StGB) mit höherer Strafe bedroht als das gegenüber Behörden (§ 277 StGB a. F.). (Vgl. Hoyer in SK-StGB, § 277 Rn. 5)

Dem kann nun, dem Argument des BGH folgend, dass eine Sperrwirkung jedenfalls nur dann ihre Wirkung entfalten könne, wenn der Tatbestand der §§ 277 ff. StGB a. F. vollständig erfüllt wäre, entgegengehalten werden, dass es ebenso unstimmig sei, das Gebrauchen von gefälschten Gesundheitszeugnissen gegenüber Privaten gar nicht zu sanktionieren (so z. B. Puppe/Neumann in NK-StGB, 5. Aufl. 2017, StGB § 277 Rn 13).

Vereinzelt wird zur Lösung die sog. Rechtsfolgenlösung vorgeschlagen, nach der eine Strafbarkeit nach § 267 StGB in der Rechtsfolge durch den Strafrahmen des § 277 StGB a. F. modifiziert werden solle. Überzeugen vermag aber weder der BGH, noch die Rechtsfolgenlösung. Privilegierungen müssen nicht ausdrücklich gesetzlich normiert sein, sie ergeben sich aus der geringeren Strafdrohung, so zum Beispiel auch im Rahmen der Tötungsdelikte und dort § 216 StGB.

Fazit

Die Entscheidung des BGH ist ein gefährlicher Schritt in die Richtung der Moralisierung des Strafrechts, da durch sie das gesellschaftliche Sanktionsbedürfnis Überhand gegenüber einer systematisch eindeutigen Regelung und nicht zuletzt dem Willen des Gesetzgebers gewinnt.

Urteil vom 10.11.2022 - BGH 5 StR 215/22

Autor

zu sehen ist ein Portrait des Fachanwalts Felix Haug.
Rechtsanwalt Felix F. Haug
  • Fachanwalt für Strafrecht
  • jahrelange Erfahrung mit Schwerpunkt Medizinstrafrecht
  • Spezialisierung bei Vorwurf Betrug & Urkundenfälschung