Feststellungserklärung und ESt-Erklärung: BGH zementiert strikte Tatmehrheit bei Steuerhinterziehung
17. Juli 2025
BGH 2025: Zwei Erklärungen = Zwei Taten – eine Analyse für die Praxis
Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Beschluss vom 30.04.2025 (1 StR 39/25) eine für das Steuerstrafrecht bedeutsame Klarstellung getroffen: Steuerhinterziehung durch unrichtige Angaben in Feststellungserklärung und Einkommensteuererklärung desselben Veranlagungszeitraums gelten stets als zwei eigenständige Taten – auch bei identischen Besteuerungsgrundlagen.
Für die Strafverteidigung bringt das erhebliche Herausforderungen: getrennte Verjährungsfristen, erschwerte Selbstanzeige und die Notwendigkeit, faktische Doppelbestrafung bei der Strafzumessung zu vermeiden.
In diesem Beitrag analysiere ich den neuen BGH-Beschluss im Detail, ordne ihn in die bisherige Rechtsprechung ein und erläutere praxisrelevante Verteidigungsansätze für Steuerberater und Strafverteidiger.
BGH, Beschluss vom 30.04.2025 – 1 StR 39/25
Der Bundesgerichtshof hat mit seinem aktuellen Beschluss eine für die Praxis bedeutsame Klarstellung getroffen: Unrichtige Angaben in einer Feststellungserklärung und in der Einkommensteuererklärung desselben Veranlagungszeitraums sind stets eigenständige Taten der Steuerhinterziehung. Dies gilt selbst dann, wenn die falschen Angaben dieselben Besteuerungsgrundlagen betreffen und der Feststellungsbescheid Bindungswirkung für die Einkommensteuerveranlagung entfaltet.
Die Entwicklung der Rechtsprechung seit 2018
Um die Tragweite der aktuellen Entscheidung zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Rechtsprechungsentwicklung. Bis zum Jahr 2018 galt in der Praxis eine differenzierte Betrachtung. Zwar wurde jede Steuererklärung grundsätzlich als eigenständige Tat gewertet. Eine wichtige Ausnahme bestand jedoch für den Fall, dass mehrere Steuererklärungen gleichzeitig abgegeben wurden und übereinstimmende unrichtige Angaben enthielten. Wer seine Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuererklärung gemeinsam in einem Umschlag versandte, konnte sich darauf berufen, nur eine einheitliche Tat begangen zu haben. Der BGH hatte dies damit begründet, dass der Täter bei unterschiedlichen Angaben über denselben Lebenssachverhalt einem erhöhten Entdeckungsrisiko ausgesetzt wäre.
Diese gefestigte Rechtsprechung hat der BGH mit seinem Urteil vom 22.01.2018 (1 StR 535/17) aufgegeben. Der erste Strafsenat stellte klar, dass das bloße zeitliche Zusammenfallen der Abgabe von mehreren Steuererklärungen keine Tateinheit mehr begründen kann. Entscheidend sei der rechtsakzessorische Charakter der Steuerhinterziehung. Die Tathandlung bestehe in der unrichtigen Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen, die sich stets nur auf einen bestimmten Veranlagungszeitraum und eine Steuerart beziehe. Dem äußerlichen Versenden komme für die tatbestandliche Handlung keine Bedeutung zu.
Die aktuelle Entscheidung: Konsequente Fortführung
Der neue Beschluss vom 30.04.2025 führt diese Linie konsequent fort und erweitert sie ausdrücklich auf das Verhältnis zwischen Feststellungserklärungen nach § 181 Abs. 2 Nr. 1 AO und Einkommensteuererklärungen nach § 25 Abs. 1 EStG. Auch hier gilt: Zwei Erklärungen bedeuten zwei Taten.
Diese strikte Trennung gilt sogar dann, wenn die falschen Angaben identische Besteuerungsgrundlagen betreffen. Bei einer Personengesellschaft werden die Einkünfte zunächst auf Ebene der Gesellschaft festgestellt und dann bei den Gesellschaftern in deren persönlicher Einkommensteuererklärung erfasst. Wirtschaftlich handelt es sich um denselben Vorgang. Strafrechtlich sieht der BGH hier jedoch zwei völlig eigenständige Taten.
Bemerkenswert ist auch, dass diese Grundsätze gleichermaßen für das pflichtwidrige Unterlassen gelten. Wer sowohl die Feststellungserklärung als auch seine persönliche Einkommensteuererklärung nicht abgibt, begeht nach der neuen Rechtsprechung zwei Taten der Steuerhinterziehung durch Unterlassen.
Praktische Auswirkungen für die Verteidigung
Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die Verteidigungspraxis. Zunächst zur Verjährung: Jede Tat verjährt für sich. Wenn die Feststellungserklärung einer GbR im März 2019 und die Einkommensteuererklärung eines Gesellschafters erst im Februar 2020 abgegeben wurde, beginnen zwei unterschiedliche Verjährungsfristen zu laufen. Bei der fünfjährigen Verfolgungsverjährung nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB kann dies im Einzelfall über die Strafbarkeit entscheiden.
Besonders bedeutsam ist die Rechtsprechung für die Frage des „großen Ausmaßes“ nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO. Seit der Grundsatzentscheidung BGH 1 StR 373/15 gilt einheitlich, dass die Grenze bei 50.000 Euro liegt. Bei Tateinheit werden die Hinterziehungsbeträge addiert, bei Tatmehrheit wird jede Tat isoliert betrachtet.
Ein Beispiel verdeutlicht die Konsequenzen: Verschweigt ein Gesellschafter in der Feststellungserklärung Einkünfte, die zu einer Steuerverkürzung von 30.000 Euro führen, und macht er dieselben falschen Angaben in seiner persönlichen Einkommensteuererklärung, hätte man früher bei Tateinheit einen Gesamtbetrag von 60.000 Euro angenommen – mithin ein großes Ausmaß. Nach neuer Rechtsprechung liegen zwei Taten mit jeweils 30.000 Euro vor, sodass die Schwelle zum besonders schweren Fall nicht überschritten wird.
Die Selbstanzeige wird komplexer
Für die Praxis der Selbstanzeige ergeben sich neue Herausforderungen. Eine wirksame Selbstanzeige nach § 371 AO setzt Vollständigkeit voraus. Bei Personengesellschaften bedeutet dies, dass nicht nur die Feststellungserklärung der Gesellschaft korrigiert werden muss, sondern auch sämtliche Einkommensteuererklärungen aller Gesellschafter. Die isolierte Berichtigung nur der Feststellungserklärung führt nicht zur Straffreiheit.
Dies erfordert in der Praxis eine sorgfältige Koordination zwischen der Gesellschaft und allen Gesellschaftern. Gerade bei Gesellschaften mit vielen Beteiligten oder bei zerstrittenen Gesellschaftern kann dies zu erheblichen praktischen Problemen führen.
Strafzumessung: Die Gefahr der Doppelbestrafung
Bei der Strafzumessung stellt sich die Frage, wie mit der formalen Verdopplung der Taten umzugehen ist. Nach § 53 StGB ist bei Tatmehrheit eine Gesamtstrafe zu bilden. Die Verteidigung muss hier besonders darauf achten, dass es nicht zu einer faktischen Doppelbestrafung für denselben wirtschaftlichen Erfolg kommt.
Der BGH hat in seiner bisherigen Rechtsprechung durchaus anerkannt, dass bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ist, wenn mehrere formale Taten auf einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang beruhen. Die Bindungswirkung des Feststellungsbescheids zeigt, dass der Steuerpflichtige faktisch nur einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat. Dies muss sich mildernd auf die Strafe auswirken.
Kritische Würdigung
Die Rechtsprechung des BGH mag dogmatisch konsequent sein, führt aber zu durchaus fragwürdigen Ergebnissen. Ein wirtschaftlich einheitlicher Vorgang wird strafrechtlich in mehrere Taten aufgespalten. Dies führt zu einer Ungleichbehandlung zwischen Einzelunternehmern, die nur eine Einkommensteuererklärung abgeben, und Gesellschaftern von Personengesellschaften, die zusätzlich von der Feststellungserklärung betroffen sind.
Besonders problematisch erscheint, dass die formale Betrachtungsweise des BGH die wirtschaftlichen Realitäten ausblendet. Bei einer Personengesellschaft hat der einzelne Gesellschafter auf die Feststellungserklärung oft nur begrenzten Einfluss. Dennoch wird er strafrechtlich so behandelt, als hätte er zwei völlig unabhängige Taten begangen.
Konsequenzen für die Beratungspraxis
Die aktuelle Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer spezialisierten Beratung im Steuerstrafrecht. Bei laufenden Ermittlungsverfahren ist eine exakte Dokumentation aller Erklärungsabgaben erforderlich. Für jede einzelne Erklärung muss die Verjährung gesondert geprüft werden. Die Verteidigungsstrategie muss auf die Besonderheiten der Tatmehrheit abgestimmt werden.
Bei der Erstellung von Selbstanzeigen ist höchste Sorgfalt geboten. Die Vollständigkeit muss sich auf alle betroffenen Erklärungen erstrecken. Eine enge Abstimmung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern ist unerlässlich. Auch die zeitliche Koordination der Berichtigungen will gut überlegt sein.
Fazit
Die Entscheidung des BGH vom 30.04.2025 setzt die seit 2018 eingeschlagene Linie einer strikten formalen Betrachtung fort. Für die Praxis bedeutet dies erhöhte Anforderungen an die Strafverteidigung. Jede Steuererklärung muss als eigenständige Tat analysiert und verteidigt werden. Die wirtschaftliche Einheit eines Vorgangs spielt nur noch bei der Strafzumessung eine Rolle.
Die Entscheidung zeigt einmal mehr: Im Steuerstrafrecht kommt es auf jedes Detail an. Eine frühzeitige Einschaltung eines spezialisierten Strafverteidigers ist angesichts der Komplexität der Materie dringend zu empfehlen. Nur so können die vielfältigen Fallstricke vermieden und die bestmögliche Verteidigung gewährleistet werden.
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