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Das Strohmann-Kartell

15. August 2024

Funktion des "Strohgeschäftsführers"




Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) veröffentlichte Ende Juli eine Dokumentation mit dem Titel „Das Strohmann-Kartell“ über den Einsatz von Menschen aus Osteuropa als Geschäftsführer deutscher Unternehmen. Mithilfe dieser „Strohleute“ sollen illegale Geschäfte verschleiert und Verfolgungsrisiken minimiert werden.

Hintergründe und Motive

Warum tauchen in den letzten Jahren vermehrt obdachlose und suchtkranke Menschen als Geschäftsführer deutscher Unternehmen auf? Menschen, die mit den Firmen nichts zu tun haben und regelmäßig nicht einmal von deren Existenz wissen? Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einer genaueren Auseinandersetzung mit der Handhabung der strafrechtlichen Verantwortung von Unternehmen.

Strafrechtliche Verantwortung in Unternehmen

Handlungsunfähige Kapitalgesellschaften nehmen durch ihre Vertretungsorgane am Rechtsverkehr teil. Ein Unternehmen kann sich nicht selbst strafbar machen; sanktioniert wird ausschließlich das Vertretungsorgan, das heißt, die natürliche Person, die hinter dem Unternehmen steht. Das sind je nach Unternehmensform beispielsweise Gesellschafter oder Geschäftsführer. Dieses Prinzip folgt dem Grundsatz „societas delinquere non potest“ – eine Gesellschaft kann kein Unrecht begehen. Sobald ein Straftatbestand ein Unternehmen adressiert, wird die relevante Eigenschaft (beispielsweise die des Arbeitgebers) vom Unternehmen auf den Geschäftsführer oder die jeweils vertretungsberechtigte Person „überwälzt“. Diese Straftaten sind sogenannte Sonderdelikte, da sie nur von einem bestimmten Personenkreis begangen werden können.

Die Rolle der Strohleute

Die Figur, verankert in § 14 StGB, soll verhindern, dass sich Personen hinter Unternehmen verstecken und im Ergebnis niemand zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie verhält es sich jedoch, wenn tatsächlich eine andere Person als das vertretungsberechtigte Organ das Unternehmen lenkt?

Hier kommen die sogenannten Strohleute ins Spiel. In dem Wissen, dass sie als Geschäftsführer zur strafrechtlichen Verantwortung für Insolvenzverschleppungen, Steuerhinterziehungen und dergleichen gezogen werden können, setzen Täter immer häufiger Personen ein, die mit dem Unternehmen nichts zu tun haben. Diese sind dann auf dem Papier das vertretungsberechtigte Organ und daher strafrechtlich verantwortlich, während die eigentlichen Täter (vermeintlich) nichts zu befürchten haben.

Faktische Geschäftsführer und ihre strafrechtliche Relevanz

Der Schein trügt: Zumindest aus strafrechtlicher Perspektive können die Täter weiterhin als „faktische Geschäftsführer“ verantwortlich sein. Diese Rechtsfigur ist nicht unumstritten und wird insbesondere aufgrund der damit einhergehenden Problematik des strafbelastenden Analogieverbots kritisiert.

Praktische Herausforderungen für die Strafverfolgung

Das ist allerdings nur die rechtliche Betrachtungsweise. Tatsächlich stellt der Einsatz von Strohleuten die Ermittlungsbehörden vor erhebliche Verfolgungsprobleme. Komplizierte Unternehmenskonstruktionen und der Einsatz von schwer auffindbaren „Geschäftsführern“ erschweren die Ermittlung der eigentlichen, faktischen Geschäftsführer maßgeblich.

Ausnutzung von Unwissenheit und Unsicherheit

Dabei wird sowohl die Unwissenheit osteuropäischer Obdachloser als auch die Unsicherheit von Personen ausgenutzt, deren Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Letztere wollen die Geschäfte ihrer Firmen zügig beenden und Verantwortung abgeben. Eine „Marktlücke“, die sich immer mehr Firmen zunutze machen. Anbieter werben auf Internetseiten damit, gegen Geldzahlung das in Bredouille geratene Unternehmen abzuwickeln und den Geschäftsführer innerhalb nur weniger Stunden aus der Verantwortung zu entlassen. Tatsächlich werden die Firmengeschäfte aber nicht abgewickelt, sondern an die osteuropäischen Strohleute übertragen. In der Folge werden diese Unternehmen für illegale Zwecke genutzt, etwa für illegale Autoverkäufe, Steuerhinterziehungen und Sozialbetrug. Werden diese Aktivitäten dann rückverfolgt, tauchen die Namen der Strohleute und die der ehemaligen Geschäftsführer auf, jedoch nicht jene der eigentlich Verantwortlichen.

Autor

Rechtsanwalt Felix F. Haug
  • Fachanwalt für Strafrecht
  • Spezialisierung im Wirtschaftsstrafrecht
  • Verteidigung bei internationaler Wirtschaftskriminalität