Durchsuchung wegen § 299a StGB – Was Ärzte jetzt wissen müssen
1. Juli 2025
Was tun, wenn die Staatsanwaltschaft morgens um 6 Uhr vor der Praxistür steht? Wenn der Durchsuchungsbeschluss auf § 299a StGB verweist – also auf den Verdacht der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen – geht es für Ärzt:innen um alles. Dieser Artikel erklärt, was Sie bei einer Durchsuchung in der Arztpraxis nach § 299a StGB beachten müssen, wie Sie sich richtig verhalten und wie eine effektive Verteidigung aussehen kann.
Die ersten Minuten entscheiden bei Durchsuchungen in Arztpraxen
Ein Oberarzt aus München erlebt es hautnah: Durchsuchung in Praxis und Privatwohnung gleichzeitig. Der Vorwurf: systematische Zuweisungen an ein MVZ, an dem er beteiligt ist. Die Ermittler beschlagnahmen Computer, Mobiltelefone und kistenweise Unterlagen. Seine erste Reaktion – ein Anruf beim Anwalt – rettet ihn vor folgenschweren Fehlern.
Denn Durchsuchungen wegen § 299a StGB haben ihre Besonderheiten. Anders als bei klassischen Korruptionsdelikten geht es hier um den sensiblen Bereich der Patientenversorgung. Die Staatsanwaltschaft sucht nach der „Unrechtsvereinbarung“ – dem Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Vorteil und Patientenzuweisung.
Was die Ermittler wirklich suchen
Bei Durchsuchungen im Kontext des § 299a StGB haben die Ermittler klare Ziele. Sie durchforsten systematisch:
Kooperationsverträge und wirtschaftliche Verflechtungen
Jeder Vertrag mit Physiotherapiepraxen, MVZs oder Sanitätshäusern wird unter die Lupe genommen. Besonders im Fokus: Gewinnbeteiligungen, Provisionsvereinbarungen und verdeckte Rückflüsse über Miet- oder Beratungsverträge.
Die digitale Spur
E-Mails, WhatsApp-Nachrichten und interne Kommunikation – hier vermuten Ermittler oft die entscheidenden Beweise. Ein unbedachter Satz wie „Schick mir mehr Patienten, dann erhöhen wir deine Beteiligung“ kann verheerend sein.
Abrechnungsunterlagen und Patientenflüsse
Die Staatsanwaltschaft analysiert Verordnungsmuster: Gehen auffällig viele Patienten an eine bestimmte Einrichtung? Gibt es eine Korrelation zwischen Zuweisungen und wirtschaftlichen Vorteilen?
Die rechtlichen Grenzen der Durchsuchung
Nicht alles, was die Ermittler fordern, müssen Ärzte auch herausgeben. Die ärztliche Schweigepflicht nach § 203 StGB gilt auch bei Durchsuchungen – mit wichtigen Einschränkungen.
Der BGH hat klargestellt:
„Patientenakten unterliegen grundsätzlich dem Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arzt selbst Beschuldigter ist und die Unterlagen unmittelbar tatrelevant sind.“
(BGH, Beschl. v. 13.9.2023 – StB 23/23)
In der Praxis bedeutet das: Reine Behandlungsunterlagen sind oft geschützt, Abrechnungsunterlagen und Überweisungen hingegen nicht. Die Abgrenzung ist komplex und erfordert juristische Expertise vor Ort.
Typische Fehler in der Durchsuchungssituation
Die Erfahrung zeigt: In der Stresssituation einer Durchsuchung passieren vermeidbare Fehler. Ein Kardiologe aus Hamburg wollte „alles erklären“ und verstrickte sich in Widersprüche. Ein Orthopäde aus Berlin löschte in Panik E-Mails – der Vorwurf der Beweisvernichtung kam hinzu.
Schweigen ist Gold
„Ich sage nichts ohne meinen Anwalt“ – dieser Satz ist keine Unhöflichkeit, sondern Ihr gutes Recht. Spontane Erklärungen in der Durchsuchungssituation schaden fast immer mehr, als sie nutzen.
Dokumentation der Maßnahme
Lassen Sie sich den Durchsuchungsbeschluss aushändigen und dokumentieren Sie, was beschlagnahmt wird. Fotos von versiegelten Unterlagen und eine eigene Liste der mitgenommenen Gegenstände sind später wertvoll.
Keine voreiligen Maßnahmen
Daten löschen, Unterlagen vernichten, Zeugen instruieren – all das verschlimmert die Situation dramatisch. Die Staatsanwaltschaft wertet solches Verhalten als Schuldeingeständnis.
Die Besonderheiten bei Praxisdurchsuchungen
Anders als bei Durchsuchungen in Unternehmen gelten in Arztpraxen besondere Regeln. Der laufende Praxisbetrieb, wartende Patienten und die ärztliche Schweigepflicht schaffen ein komplexes Spannungsfeld.
Patientenschutz geht vor
Die Behandlung akuter Notfälle hat Vorrang vor jeder Durchsuchungsmaßnahme. Dokumentieren Sie, wenn Ermittler den Praxisbetrieb behindern – das kann später verfahrensrelevant sein.
Trennung von Praxis und Privatem
Durchsucht werden darf nur, was im Durchsuchungsbeschluss steht. Private Räume in der Praxis, getrennte Behandlungszimmer von Kollegen oder abgeschlossene Archive sind tabu – es sei denn, der Beschluss nennt sie explizit.
IT-Systeme und Praxissoftware
Die Beschlagnahme von Praxis-EDV ist besonders heikel. Patientendaten, Abrechnungssoftware und Terminkalender – alles auf einer Festplatte. Hier hilft oft eine Spiegelung der Daten unter anwaltlicher Aufsicht.
Nach der Durchsuchung: Die richtigen Schritte
Die Ermittler sind weg, die Praxis im Chaos – was jetzt? Die ersten 48 Stunden nach einer Durchsuchung sind entscheidend für die weitere Verteidigung.
Sofortige anwaltliche Vertretung
Ein auf Medizinstrafrecht spezialisierter Anwalt sollte umgehend Akteneinsicht beantragen. Nur so erfahren Sie, was genau Ihnen vorgeworfen wird und welche Beweise die Staatsanwaltschaft hat.
Schadensbegrenzung in der Praxis
Informieren Sie Ihre Partner und Mitarbeiter – aber nur soweit nötig. Eine Durchsuchung spricht sich schnell herum. Eine klare Kommunikationsstrategie verhindert Panik und Kündigungen.
Beweissicherung für die Verteidigung
Rekonstruieren Sie, was beschlagnahmt wurde. Sichern Sie Kopien aller relevanten Unterlagen, soweit noch vorhanden. Erstellen Sie eine Timeline der Kooperationsbeziehungen.
Die Verteidigungsstrategie bei § 299a StGB
Nach einer Durchsuchung beginnt die eigentliche Verteidigungsarbeit. Bei § 299a StGB geht es oft um Nuancen: War die Zuweisung medizinisch indiziert? Gab es eine echte Wahlfreiheit für Patienten? Waren wirtschaftliche Vorteile marktüblich?
Ein Frauenarzt aus Stuttgart konnte nachweisen: Seine Zuweisungen an eine Physiotherapiepraxis erfolgten aufgrund spezieller Qualifikationen für Beckenbodenschulung. Die wirtschaftliche Beteiligung war transparent und die Patientinnen hatten stets Alternativen. Das Verfahren wurde eingestellt.
Der BGH betont in ständiger Rechtsprechung:
„Nicht jede wirtschaftliche Verflechtung im Gesundheitswesen ist strafbar. Entscheidend ist die konkrete Einflussnahme auf die Heilmittelverordnung oder Zuweisung.“
(BGH, Urt. v. 7.12.2023 – 3 StR 163/23)
Prävention: Durchsuchungen vermeiden
Die beste Durchsuchung ist die, die gar nicht erst stattfindet. Transparente Strukturen und saubere Dokumentation sind der beste Schutz vor strafrechtlichen Ermittlungen.
Compliance im Gesundheitswesen
Lassen Sie Kooperationsverträge juristisch prüfen. Dokumentieren Sie medizinische Entscheidungen nachvollziehbar. Trennen Sie wirtschaftliche und medizinische Entscheidungsebenen klar voneinander.
Früherkennung von Ermittlungen
Oft kündigen sich Ermittlungen an: Anfragen von Krankenkassen, Prüfungen durch die KV oder anonyme Anzeigen. Wer früh reagiert, kann oft Schlimmeres verhindern.
Fazit: Vorbereitung schützt vor Panik
Eine Durchsuchung wegen § 299a StGB ist ein massiver Eingriff – aber kein Weltuntergang. Wer seine Rechte kennt, besonnen reagiert und professionelle Hilfe hinzuzieht, kann auch diese Krise meistern. Die Erfahrung zeigt: Viele Verfahren enden mit Einstellungen oder Freisprüchen, wenn die Verteidigung von Anfang an stimmt.
Der entscheidende Rat lautet daher: Bereiten Sie sich vor. Ein Notfallplan für Durchsuchungen, der Kontakt zu einem spezialisierten Anwalt und klare Compliance-Strukturen – das sind Ihre besten Verbündeten, wenn morgens um 6 Uhr die Staatsanwaltschaft klingelt.
Sie wurden Ziel einer Durchsuchung oder haben eine Vorladung erhalten? Kontaktieren Sie uns für eine erste Einschätzung. Als Fachanwälte für Strafrecht mit Schwerpunkt Medizinstrafrecht kennen wir die Besonderheiten von Ermittlungen nach § 299a StGB. Mehr zu dem Thema lesen Sie unter Kooperation oder Korruption? Strafbarkeit im Gesundheitswesen nach § 299a StGB sowie allgemeine zum Thema Medizinstrafrecht finden Sie auf unserer Fachseite Medizinstrafrecht.