
Kooperation oder Korruption? Strafbarkeit im Gesundheitswesen nach § 299a StGB
10. April 2025
Kooperation oder Korruption? Die Vorschrift des § 299a StGB stellt Bestechlichkeit im Gesundheitswesen unter Strafe – auch bei Ärzten. Kooperationen mit Physiotherapiepraxen, MVZs oder Hilfsmittelanbietern sind erlaubt, aber nur solange medizinische Entscheidungen nicht durch wirtschaftliche Interessen beeinflusst werden. Besonders riskant: Beteiligung plus Patientenzuweisung. Wann wird aus Kooperation ein Straftatbestand?
Einleitung – Wenn Kooperation strafbar wird
Ein Arzt ist wirtschaftlich an einer Physiotherapiepraxis beteiligt – eine klassische Konstellation im Kontext des § 299a StGB bei Kooperationen im Gesundheitswesen. In seiner eigenen Praxis verordnet er regelmäßig Heilmittel – die Patienten landen überwiegend in „seiner“ Einrichtung. Gleichzeitig fließen ihm Gewinne zu.
Ist das strafbar nach § 299a StGB?
Solche Fälle sind Alltag in der Praxis – aber zunehmend Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen. Seit Inkrafttreten des § 299a StGB im Jahr 2016 ist klar: Auch Ärzte im niedergelassenen Bereich können wegen Bestechlichkeit im Gesundheitswesen belangt werden. Die Strafbarkeit setzt jedoch mehr voraus als nur wirtschaftliche Nähe.
Entscheidend ist: Gibt es eine „Unrechtsvereinbarung“ zwischen Zuweisung und wirtschaftlichem Vorteil?
§ 299a StGB: Was im Gesundheitswesen strafbar ist
§ 299a StGB betrifft nicht nur klassische Korruptionsdelikte, sondern auch alltägliche Kooperationen im Gesundheitswesen. § 299a StGB stellt unter Strafe, wenn ein Arzt einen nicht gerechtfertigten Vorteil annimmt, um bei der Verordnung oder Zuführung unlauter zu bevorzugen.
Was gilt als Vorteil?
Der Bundesgerichtshof definiert:
„Vorteil ist jede Zuwendung, auf die kein rechtlich begründeter Anspruch besteht und die die wirtschaftliche oder persönliche Lage des Arztes objektiv verbessert.“
(BGH, Beschl. v. 4.5.2022 – 1 StR 328/21)
Das können sein:
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Gewinnbeteiligungen,
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Provisionen,
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verdeckte Rückvergütungen (z. B. über Mietverträge oder Honorare ohne Gegenleistung).
Was ist eine unlautere Bevorzugung?
Der BGH betont:
„Unlauter handelt, wer medizinische Entscheidungen nicht nach sachlichen Kriterien, sondern mit Blick auf einen wirtschaftlichen Vorteil trifft.“
(BGH, Urt. v. 7.12.2023 – 3 StR 163/23)
Entscheidend ist nicht die Absicht des Arztes, sondern der objektive Zusammenhang zwischen Vorteil und Entscheidung. Es genügt, wenn eine stillschweigende Unrechtsvereinbarung naheliegt – ausdrücklich muss sie nicht sein.
Typische Risiko-Konstellationen aus der Praxis
Beteiligung an der Zielpraxis
Ein Arzt hält Anteile an einer Einrichtung, an die er Patienten verweist – etwa eine Physiotherapiepraxis oder ein MVZ. Allein die Beteiligung ist noch kein Problem. Kritisch wird es, wenn die Verordnung medizinisch nicht nachvollziehbar oder automatisiert erfolgt.
Zuführung statt Wahlfreiheit
„Zuführung“ bedeutet jede Einwirkung auf den Patienten zur Lenkung seiner Entscheidung. Dazu zählen auch:
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interne Koordination von Terminen,
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Rezeptaufdrucke mit konkreten Einrichtungen,
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fehlende Alternativen bei der Auswahl des Anbieters.
Wirtschaftlicher Rückfluss
Wenn dem Arzt aus der Verordnung oder Überweisung ein wirtschaftlicher Vorteil zufließt – etwa über Gesellschaftsanteile, Umsatzbeteiligungen oder Scheinverträge –, liegt ein Vorteil vor. Ob dieser tatbestandsmäßig ist, hängt am Zusammenhang mit der Bevorzugung.
Aktuelle BGH-Rechtsprechung im Überblick
BGH, Beschl. v. 4.5.2022 – 1 StR 328/21 („MVZ-Fall“)
Ein Arzt war an einem MVZ beteiligt, dem er regelmäßig Patienten zuwies. Der BGH entschied:
„Allein die Kombination aus wirtschaftlicher Beteiligung und Zuführung von Patienten reicht nicht aus.“
„Erforderlich ist eine konkrete, unlautere Bevorzugung – etwa durch sachwidrige Verordnung oder fehlende Indikation.“
Fazit: Beteiligung und Verordnung begründen keinen Automatismus.
BGH, Urt. v. 7.12.2023 – 3 StR 163/23 („Sanitätshaus-Provisionen“)
Ein Arzt erhielt pauschale Zahlungen für jede Versorgung mit einem bestimmten Hilfsmittelanbieter. Der BGH stellte klar:
„Wer wirtschaftlich abhängig ist und keine Dokumentation der Indikation vorweisen kann, begibt sich in strafrechtliches Risiko.“
Hier wurde eine konkludente Unrechtsvereinbarung angenommen – bei systematischem Vorteil ohne medizinische Transparenz.
Was Ärzte in der Praxis beachten sollten
Die Rechtsprechung ist eindeutig: Wer Kooperationen nach § 299a StGB sauber gestalten will, muss insbesondere wirtschaftliche Rückflüsse offenlegen. Nicht jede Kooperation ist verboten – aber jede wirtschaftliche Verknüpfung muss juristisch sauber gestaltet sein.
Was heißt das konkret?
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Trennung von Rolle und Gewinn
Die ärztliche Entscheidung muss medizinisch begründet sein – unabhängig von eigenen wirtschaftlichen Interessen. Keine automatische Weiterleitung, keine Verordnung „aus Verbundenheit“. -
Dokumentation der Indikation
Jede Verordnung sollte medizinisch klar dokumentiert sein. Bei wirtschaftlicher Beteiligung ist das essenziell. -
Vermeidung von Strukturzwängen
Der Patient muss echte Wahlfreiheit haben. Interne Abläufe dürfen keine strukturelle Zuführung bewirken. -
Klarheit über Rückflüsse
Gewinnverteilungen, Mietverträge, Honorare: alles muss transparent, marktüblich und klar nachvollziehbar sein.
Fazit: Wann § 299a StGB greift – und wann nicht
Der Gesetzgeber will keine unternehmerische Tätigkeit von Ärzten verbieten – wohl aber die sachwidrige Verknüpfung von Verordnung und wirtschaftlichem Vorteil. Der BGH stellt auf die konkrete Entscheidungsstruktur ab: Je näher wirtschaftliches Interesse und medizinische Entscheidung beieinanderliegen, desto genauer muss getrennt werden.
„Nicht die Kooperation ist strafbar – sondern die Entscheidung unter dem Einfluss des Vorteils.“
Für die Strafverteidigung gilt: Nicht jede Nähe ist verboten. Aber jede Nähe ist erklärungsbedürftig.
Weiterführend: Wann wirtschaftliche Interessen im Gesundheitswesen strafbar werden, ist oft eine Frage der Abgrenzung. Lesen Sie dazu auch unseren Beitrag zur Vertragsarztuntreue im Medizinstrafrecht oder unseren Überblick zum Medizinstrafrecht insgesamt.