Verteidigung eines Strohmann-Geschäftsführers bei § 266a StGB
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Strohmann-Geschäftsführer: Wenn der Registereintrag zur Falle wird

16. März 2025

Verteidigung bei § 266a StGB: Warum das LG Nürnberg-Fürth die Rechtsprechung revolutioniert

Der Anruf kommt völlig überraschend: „Ermittlungsverfahren wegen Vorenthalten von Sozialabgaben – Sie sind als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen.“ Viele Strohmann Geschäftsführer denken: „Aber ich war doch nur auf dem Papier Geschäftsführer!“ Diese Schutzbehauptung half bisher wenig. Der BGH urteilte jahrelang knallhart: Wer im Register steht, haftet strafrechtlich – egal ob Strohmann Geschäftsführer oder nicht.

Doch ein aktueller Beschluss des LG Nürnberg-Fürth bricht mit dieser starren Linie. Das Gericht stellt klar: Entscheidend ist nicht der Registereintrag, sondern die tatsächliche Einflussmöglichkeit. Ein Wendepunkt für jeden Strohmann Geschäftsführer und seine Verteidigung.

Die bisherige BGH-Rechtsprechung: Registereintrag = automatische Haftung

Über Jahre galt eine simple, aber harte Regel: Die bloße Eintragung als Geschäftsführer begründet eine strafrechtliche Garantenpflicht nach § 13 StGB. Der Geschäftsführer müsse Rechtsverstöße im Unternehmen verhindern – unabhängig davon, ob er tatsächlich Einfluss hat.

BGH, Urteil vom 17.07.2009 – 5 StR 394/08:

Die Organstellung begründet eine besondere Rechtspflicht zur Verhinderung von Rechtsgutverletzungen im Unternehmen.“

Diese Rechtsprechung führte dazu, dass Personen strafrechtlich verfolgt wurden, die lediglich als „Strohmänner“ fungierten – ohne jede Kenntnis der Geschäfte oder Kontrolle über Entscheidungen. Das Risiko war besonders hoch beim Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen nach § 266a StGB, bei Steuerhinterziehung nach § 370 AO und bei Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO.

Der Durchbruch: LG Nürnberg-Fürth stärkt Strohmann Geschäftsführer

Mit seinem Beschluss vom 25.04.2024 (18 KLs 502 Js 2487/21) vollzieht das LG Nürnberg-Fürth eine bemerkenswerte Kehrtwende:

LG Nürnberg-Fürth vom 25.04.2024 – 18 KLs 502 Js 2487/21:

„Allein aus der Gewerbeanmeldung und Kontoeröffnung durch Strohleute kann nicht auf einen Beihilfevorsatz geschlossen werden.“

Der entscheidende Fall: Der Angeklagte war zwar formal als Geschäftsführer eingetragen, hatte aber:

  • Keinen Zugriff auf Geschäftskonten
  • Keine Entscheidungskompetenz bei Verträgen
  • Keinen Kontakt zu Mitarbeitern oder Behörden
  • Keine Kenntnis von der wirtschaftlichen Leitung durch Dritte

Das Gericht sah hierin keine Garantenstellung – trotz Registereintrag. Damit rückt die tatsächliche Verantwortlichkeitins Zentrum, nicht mehr die formale Stellung.

Was bedeutet das für die Strohmann Geschäftsführer Verteidigung?

Diese Entscheidung eröffnet völlig neue Strategien für jeden Strohmann Geschäftsführer und seine Verteidigung. Der Nachweis fehlender Einflussmöglichkeit wird zur zentralen Säule der Verteidigung.

Konkrete Nachweise für fehlende Geschäftsführertätigkeit:

Kommunikation: Entscheidend ist der Nachweis, dass keine E-Mail-Korrespondenz mit Mitarbeitern, Kunden oder Behörden stattgefunden hat. Ebenso relevant ist die fehlende Teilnahme an Geschäftsleitungssitzungen und das Fehlen von Unterschriften auf Geschäftsbriefen oder Verträgen.

Finanzielle Kontrolle: Der Strohmann Geschäftsführer hatte keinen Online-Banking-Zugang zu Geschäftskonten, keine Vollmachten für Banken oder Behörden und kannte weder Umsätze noch die Liquiditätslage des Unternehmens.

Operative Entscheidungen: Personalentscheidungen wie Einstellungen oder Kündigungen lagen nicht in seiner Befugnis. Gleiches gilt für Vertragsabschlüsse und die Teilnahme an Buchhaltung oder Jahresabschluss.

Unternehmerische Steuerung: Die tatsächliche Geschäftsleitung lag bei anderen Personen. Eindeutige interne Hierarchien und Weisungsstrukturen sowie Zeugenaussagen von Mitarbeitern oder Geschäftspartnern können dies belegen.

Strategische Konsequenzen für das Ermittlungsverfahren

Die Nürnberger Entscheidung verändert die Verteidigungsstrategie grundlegend. Zunächst sollte eine frühzeitige Beweissicherung erfolgen: Sammeln Sie sofort alle Unterlagen, die Ihre fehlende Geschäftsführertätigkeit belegen. E-Mail-Verläufe, Vollmachtsurkunden und Zeugenaussagen können entscheidend sein.

Statt abzuwarten, bis die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, empfiehlt sich eine proaktive Darstellung. Eine frühzeitige, fundierte Einlassung kann das Verfahren bereits im Ermittlungsstadium beenden. Dabei sollten Sie klar herausarbeiten, wer tatsächlich die Geschäfte geführt hat. Je eindeutiger diese Abgrenzung zum faktischen Geschäftsführer gelingt, desto stärker wird die Verteidigung.

Praktische Checkliste für betroffene Strohmann Geschäftsführer

Bei einer Vorladung oder Durchsuchung sollten Strohmann Geschäftsführer zunächst schweigen und keine Aussage ohne anwaltliche Beratung machen. Parallel dazu ist es wichtig, alle verfügbaren Unterlagen zu sichern, die die fehlende Geschäftsführertätigkeit belegen können. Eine Liste möglicher Entlastungszeugen sollte erstellt werden, ebenso wie eine Prüfung, welche Befugnisse nie bestanden haben. In komplexeren Fällen kann eine IT-Forensik zur Beweissicherung von E-Mail-Verläufen erwogen werden.

Grenzen der neuen Rechtsprechung

Achtung: Das LG Nürnberg-Fürth steht noch allein da. Der BGH hat sich bisher nicht von seiner strengen Linie distanziert. Andere Gerichte könnten weiterhin der bisherigen Rechtsprechung folgen.

Dennoch bietet die Entscheidung eine dogmatisch fundierte Argumentationsgrundlage, die in jedem Strohmann-Fall geprüft werden sollte.

Ausblick: Paradigmenwechsel oder Einzelfall?

Die Nürnberger Entscheidung könnte den Anfang einer neuen Rechtsprechungslinie markieren. Sie zeigt: Registereintrag ist nicht gleich strafrechtliche Verantwortung.

Für die Praxis bedeutet das: Strohmann-Geschäftsführer haben erstmals eine realistische Chance, ihrer Haftung zu entgehen – wenn sie ihre fehlende Einflussmöglichkeit lückenlos nachweisen können.

Entscheidend wird sein, ob der BGH diese Linie übernimmt oder an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Bis dahin gilt: Jeder Fall muss individuell geprüft und die neue Argumentation strategisch eingesetzt werden.


Fazit: Die Zeiten der automatischen Strohmann-Haftung könnten vorbei sein. Wer als Geschäftsführer nur „auf dem Papier“ stand, hat jetzt bessere Chancen denn je – vorausgesetzt, die Verteidigung kann die fehlende tatsächliche Verantwortung überzeugend darlegen.

Weitere rechtliche Einordnungen finden Sie im Beitrag zum Strohmann-Kartell sowie zur faktischen Geschäftsführung.

Autor

zu sehen ist ein Portrait des Fachanwalts Felix Haug.
Rechtsanwalt Felix F. Haug
  • Fachanwalt für Strafrecht
  • Kanzlei für Wirtschaftsstrafrecht
  • Spezialisiert auf Verteidigung von Unternehmern