Alle Artikel – Zur Beitragsübersicht

Untreue oder unternehmerisches Risiko?

15. Mai 2025

Strafrechtliche Bewertung wirtschaftlicher Entscheidungen

Nicht jede schlechte Entscheidung ist eine Straftat. Und doch geraten Unternehmer, Vorstände oder Geschäftsführer immer wieder in das Fadenkreuz strafrechtlicher Ermittlungen, wenn wirtschaftliche Entscheidungen nachträglich als pflichtwidrig eingestuft werden. Der Tatbestand der Untreue gem. § 266 StGB steht dabei regelmäßig im Mittelpunkt. Der folgende Beitrag beleuchtet, wie Gerichte das Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Freiheit und strafrechtlicher Verantwortung bewerten – und wie Beschuldigte sich frühzeitig schützen können.

Unternehmerisches Ermessen und seine Grenzen

Der Begriff des „unternehmerischen Ermessens“ ist für das Wirtschaftsleben essenziell. Unternehmerische Entscheidungen beinhalten naturgemäß Risiken. Fehlentscheidungen, wirtschaftliche Fehleinschätzungen oder misslungene Investitionen gehören zum Alltag – ebenso wie Projekte, die sich später als wirtschaftlich nachteilig erweisen.

Strafbar wird solches Verhalten jedoch nur dann, wenn eine rechtlich relevante Pflichtverletzung vorliegt. Im Zentrum steht dabei die sogenannte Vermögensbetreuungspflicht: Wer als Organ oder leitender Mitarbeiter über fremdes Vermögen disponiert, muss dieses im Interesse des Berechtigten verwalten. Wird diese Pflicht gravierend verletzt und entsteht hierdurch ein Nachteil, kann eine Untreue vorliegen.

Abgrenzung: Riskantes Handeln oder pflichtwidriges Verhalten?

Die Rechtsprechung verlangt für eine Strafbarkeit, dass der Handlungsspielraum – das unternehmerische Ermessen – in objektiv nicht mehr vertretbarer Weise überschritten wurde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Entscheidung als falsch herausgestellt hat. Entscheidend ist, ob sie bei ex-ante-Betrachtung, also zum Zeitpunkt der Entscheidung, durch sachliche Erwägungen gedeckt war.

So hat der Bundesgerichtshof wiederholt betont, dass Gerichte sich nicht zur nachträglichen wirtschaftlichen Kontrolle von Unternehmensentscheidungen aufschwingen dürfen. Eine Strafbarkeit setzt vielmehr eine evidente, grob pflichtwidrige Disposition voraus – etwa das bewusste Ignorieren interner Kontrollmechanismen, das eigenmächtige Freigeben erheblicher Mittel ohne Zustimmung des Aufsichtsrats oder die Zuwendung von Geldern ohne jede Gegenleistung.

Typische Fallkonstellationen

In der Praxis betreffen Untreuevorwürfe im Unternehmenskontext häufig folgende Konstellationen:

  • Bonus- oder Sonderzahlungen an Mitarbeiter oder sich selbst, ohne vertragliche Grundlage oder Gremienbeschluss
  • Geschäftsführerdarlehen oder Vorschüsse, insbesondere wenn sie nicht dokumentiert oder verzinst wurden
  • Zahlungen an Dritte ohne erkennbare Gegenleistung, z. B. im Rahmen von Beraterverträgen oder Sponsoring
  • Verdeckte Gewinnausschüttungen, etwa durch die Nutzung von Firmenvermögen zu privaten Zwecken

All diesen Konstellationen ist gemeinsam, dass sie einen innerbetrieblichen Vorgang betreffen, der bei isolierter Betrachtung nachteilig erscheint. Ob er auch strafrechtlich relevant ist, hängt von zahlreichen Faktoren ab: Rechtslage, Transparenz, Gremienbeteiligung, Dokumentation und Intention.

Rechtsprechung: Zurückhaltung statt Überdehnung

Die obergerichtliche Rechtsprechung zeigt eine gewisse Zurückhaltung bei der Annahme von Strafbarkeit. So wurde etwa im sog. „Siemens-Fall“ betont, dass interne Regelverletzungen allein nicht ausreichen, um eine Strafbarkeit zu begründen. Es bedarf vielmehr eines konkreten Vermögensnachteils und einer gravierenden Pflichtverletzung.

In anderen Entscheidungen hat der BGH unterstrichen, dass eine Pflichtverletzung nicht bereits deshalb vorliegt, weil eine Entscheidung wirtschaftlich unklug war. Gerade bei komplexen wirtschaftlichen Lagen oder krisenbedingtem Handeln müssen die Gerichte den Handlungsspielraum des Unternehmers respektieren.

Verteidigungsansätze: Aufklärung und Kontextualisierung

Für Beschuldigte ist entscheidend, frühzeitig anwaltlichen Beistand zu suchen und nicht vorschnell Stellung zu nehmen. Eine effektive Verteidigung im Bereich der Untreue setzt darauf, die Entscheidungssituation transparent darzustellen, wirtschaftliche Hintergründe aufzuarbeiten und ggf. durch betriebswirtschaftliche Gutachten oder Vorstandsbeschlüsse die Vertretbarkeit der Entscheidung zu belegen.

Auch eine etwaige Zustimmung durch Gremien, die Einhaltung formaler Abläufe oder interne Beratungsvorgänge sind wichtige Argumente, um eine strafbare Pflichtverletzung in Frage zu stellen.

Fazit

Der Vorwurf der Untreue ist schnell erhoben, doch nicht jede unternehmerische Entscheidung trägt strafrechtliche Relevanz. Die Grenze zur Strafbarkeit liegt dort, wo das Vertrauen in die Integrität wirtschaftlichen Handelns verletzt wird. Wer in eine solche Situation gerät, sollte die eigene Rolle und Entscheidung mit fachlicher Unterstützung analysieren lassen – bevor aus einer wirtschaftlichen Fehleinschätzung ein strafrechtliches Risiko wird.

Autor

zu sehen ist ein Portrait des Fachanwalts Felix Haug.
Rechtsanwalt Felix F. Haug
  • Fachanwalt für Strafrecht
  • Spezialisiert auf Wirtschaftsstrafrecht und Unternehmsverteidigung
  • Kanzlei am Kurfürstendamm in Berlin