Das Zusammenspiel von Heimtücke und Notwehr
12. November 2024
BGH, Beschluss vom 18.11.2021 – 1 StR 397/21
Im Rahmen des „Porsche-Mords“ widmet sich der BGH der Frage, ob der Täter bei dem Vorliegen einer Notwehrlage nach § 32 StGB heimtückisch i. S. d. § 211 StGB handeln kann. Dass ein Entführer niemals arglos sein, das Entführungsopfer ihn also nicht heimtückisch töten kann, ist einhellige Meinung. Wie es sich aber bei einem Erpressungsopfer verhält, blieb bislang ungeklärt.
Der „Porsche-Mord“
Nach mehreren vorangegangenen Drohungen sitzt das spätere Opfer, zugleich Täter der Erpressung, in seinem Auto und wartet auf die Zahlung des Erpressten. Dieser steigt ein, setzt sich auf die Rückbank, zückt eine Pistole und schließt dreimal auf den Kopf des Erpressers, der verstirbt. Der BGH musste sich nun mit der Frage auseinandersetzen, ob es sich bei den Schüssen um eine zulässige Notwehr handelte oder diese gegebenenfalls die Voraussetzungen der Heimtücke erfüllten. Zu klären war darüber hinaus, ob sich beide Alternativen (also Notwehr und Heimtücke) möglicherweise ausschließen.
Unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung einer permanenten Drohung (Rengier AT § 18 Rn. 19) liegt auch bei einer Erpressung ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff, mithin eine Notwehrlage nach § 32 StGB vor. Eine gebotene Notwehrhandlung verneinte der BGH im Ergebnis aber, da es dem Angeklagten zumutbar und möglich gewesen wäre, sich an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden. Auch der Verweis, der Angeklagte hätte sich angesichts der mit der Erpressung verfolgten Zahlung aus Drogengeschäften so selbst strafbar gemacht, laufe angesichts der Regelung des § 154c Abs. 2 StPO leer, so der BGH. Damit besteht zwar eine Notwehrlage, es fehlt aber an der gebotenen Verteidigungshandlung.
Fraglich ist nun, wie sich dies auf die Heimtücke auswirkt. Orientierte man sich streng an der Definition dieses Mordmerkmals, nämlich dem Ausnutzen der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit, müsste angesichts der kurzen Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr durch die Waffe und dem Schuss unproblematisch Heimtücke angenommen werden.
Der BGH erkennt in diesem Vorgehen jedoch Wertungswidersprüche zu der vorher bejahten Notwehrlage und nimmt stattdessen eine normativ orientierte, einschränkende Auslegung vor. Vergleichbar mit der Situation des Entführers führt der BGH aus, der Erpresser möge in der von ihm gesuchten Konfrontation mit dem Erpressten im Hinblick auf einen Gegenangriff regelmäßig dann nicht arglos sein, wenn er im Begriff ist, einen vollständigen Rechtsverlust beim Erpressten herbeizuführen. In diesen Konstellationen sei der Erpresser (wie der Entführer) der wahre Täter. So sei es nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer das Risiko aufzubürden, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung oder Entschuldigung das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen.
Was heißt das für die Praxis?
Für die Praxis bedeutet das nun, dass künftig in Fällen einer Kollision von Notwehrlage und möglicher Heimtücke genauestens geprüft werden muss, ob nicht das Opfer der wahre Täter ist und daher gerade nicht arglos sein kann. Das bedeutete grundsätzlich, dass wer sich rechtswidrig verhält, auch nicht arglos sein kann. Ob der BGH das in letzter Konsequenz wollte, mag fraglich sein. So rudert der Senat in seiner Beschlussbegründung selbst wieder zurück, indem er den von ihm geforderten Wertungsgleichklang von Heimtücke und Notwehr wieder insoweit einschränkt, als dieser nicht gelten solle, sofern das Erpressungsopfer selbst die Situation der Verteidigung sucht.
Im Ergebnis hat der Beschluss also nur insoweit Signalwirkung, als die Heimtücke eine neue Einschränkungsmöglichkeit erfährt. Diese lässt sich allerdings nicht verallgemeinern und ist – so der BGH ausdrücklich – immer von dem konkreten Einzelfall abhängig.