
Verurteilung mit Nebenwirkung – Warum die Strafzumessung bei Insolvenzdelikten über die Restschuldbefreiung entscheiden kann
10. Juni 2025
Fiktive Gesamtstrafe Insolvenz – diese Praxis hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 15. Mai 2025 (Az. IX ZB 8/25) untersagt. Das Insolvenzgericht darf keine hypothetische Strafanrechnung vornehmen, um die Restschuldbefreiung nach § 290 InsO zu versagen. Maßgeblich bleibt allein die gerichtliche Verurteilung – ein wichtiger Hinweis für Strafverteidigung und Insolvenzberatung.
Einleitung
Wer als Geschäftsführer oder Unternehmer in wirtschaftliche Schieflage gerät, wird im Insolvenzverfahren oft zum Schuldner – gelegentlich aber auch zum Beschuldigten. Dabei übersehen viele: Eine strafrechtliche Verurteilung kann noch Jahre später die Restschuldbefreiung gefährden – insbesondere bei Insolvenzdelikten. Denn nach § 290 InsO führt bereits eine Verurteilung zu mehr als 90 Tagessätzen wegen Bankrott oder Insolvenzverschleppung zur Versagung der Restschuldbefreiung.
Mit Beschluss vom 15. Mai 2025 (Az. IX ZB 8/25) hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun klargestellt: Eine fiktive Gesamtstrafe darf das Insolvenzgericht nicht bilden. Die Entscheidung hat enorme Bedeutung – sowohl für Strafverteidiger als auch für Insolvenzrechtler.
Keine Rechenakrobatik durch das Insolvenzgericht
Im zugrundeliegenden Fall hatte ein Schuldner in seinem Antrag auf Verfahrenskostenstundung angegeben, nicht wegen einer Insolvenzstraftat rechtskräftig verurteilt worden zu sein. Tatsächlich lag jedoch ein Strafbefehl vor: 180 Tagessätze – bestehend aus 130 Tagessätzen für Insolvenzverschleppung und viermal 70 Tagessätzen wegen Bankrott (§§ 15a InsO, 283 StGB).
Das Insolvenzgericht argumentierte: Zieht man nur die Insolvenzdelikte heraus, liege eine fiktive Gesamtstrafe von über 90 Tagessätzen vor – also sei § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt.
Der BGH widerspricht entschieden:
„Die Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe durch das Insolvenzgericht ist gesetzlich nicht vorgesehen und dem Schuldner nicht zumutbar.“
Maßgeblich sei allein die strafgerichtlich tatsächlich verhängte Strafe – nicht das, was das Insolvenzgericht hypothetisch „herausrechnet“.
Rechtslage: § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO
Diese Vorschrift regelt, dass die Restschuldbefreiung zu versagen ist, wenn der Schuldner:
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wegen einer Insolvenzstraftat (§§ 283 bis 283c StGB),
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rechtskräftig,
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zu mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe über drei Monate verurteilt wurde.
Entscheidend: Das Insolvenzgericht darf keine eigene Strafzumessung vornehmen. Es zählt ausschließlich die tatsächlich verhängte Strafe – eine fiktive Gesamtstrafe ist rechtlich irrelevant.
Strafverteidigung und Insolvenzrecht – ein strategischer Schulterschluss
Für die Praxis heißt das: Strafverteidiger müssen künftige Restschuldbefreiungen im Blick haben. Gerade in Strafbefehlen oder Verständigungen sollten Verurteilungen differenziert und nachvollziehbar sein. Schon ein Tagessatz zu viel in der falschen Deliktsgruppe kann die wirtschaftliche Zukunft eines Unternehmers verbauen.
Ebenso wichtig: Insolvenzberater:innen sind oft die erste Anlaufstelle. Wer Hinweise auf relevante Vorstrafen erkennt oder von laufenden Ermittlungen weiß, sollte umgehend eine strafrechtliche Einschätzung einholen. Der BGH-Beschluss ist auch ein Appell zur interdisziplinären Zusammenarbeit.
Fazit: Keine fiktive Gesamtstrafe – klare Linie des BGH
Die Entscheidung aus Karlsruhe schafft Rechtssicherheit: Insolvenzgerichte dürfen keine fiktive Gesamtstrafe bilden. Die tatsächliche strafrechtliche Verurteilung ist ausschlaggebend für die Restschuldbefreiung.
Für Betroffene: Achte auf dein Strafurteil – es entscheidet über deinen Neuanfang.
Für Berater:innen: Interdisziplinär denken – Straf- und Insolvenzrecht gehen Hand in Hand
Weitere Informationen zur strafrechtlichen Bewertung insolvenzbezogener Sachverhalte finden Sie unter:
https://strafverteidigung.law/insolvenzstrafrecht/